Entkunstung durch den Plattform- kapitalismus?

Seit die Kunst autonom geworden ist, ist ihre Freiheit ständigen Angriffen ausgesetzt. Meist hat die Bedrohung ihrer Autonomie externe Gründe: Förderungen werden gestrichen. Die Politik greift in ihre Freiheit ein. Der Markt bestimmt über die Kunst. Der Kapitalismus eignet sich ihre Formen an. Gegen all diese Angriffe hat die Kunst vielfältige Strategien entwickelt, die nur noch abgerufen werden müssen. Bei politischen Übergriffen wie Zensur oder Kürzungen wird ein Skandal provoziert, der routiniert ausgespielt wird. Gegen die Kapitalisierungen künstlerischer Ideen hat das Kunstsystem einen kritischen Diskurs eingerichtet, der die Kunst immer wieder zu Sperrigkeit und Unverwertbarkeit motiviert.
Philosophisch ergiebiger als diese routinierten Strategien der auto- poietischen Schließung des Kunstsystems ist es, wenn interne Bewegungen die Autonomie der Kunst bedrohen. In Zeiten großer, gesellschaftlicher Umbrüche reformiert sich das Kunstsystem von innen und das ruft dann KritikerInnen auf den Plan, die eine Abschaffung der Kunst durch die Kunst selbst befürchten.

Hegel hat die These vom Ende der Kunst eingeführt. Seit dem überschlagen sich die Peak-Art-Thesen. Ein zum Klassiker gewordene Beispiel dafür hat Adorno mit seinem Begriff der Entkunstung markiert. Das Ende der Ära bürgerlicher Kunst sah er als eine Selbstabschaffung der Kunst durch sich selbst . Die Auflösung der Genres und die auf kommenden populären, künstlerischen Formen, beispielsweise der Jazz, waren ihm suspekt und er sah darin die kapitalistische Logik, die aus dem Kunstsystem selbst zu wuchern begann. Ähnlich ging es den amerikanischen Kritikern Greenberg und Fried, die die Pop Art bzw. die Minimal Art ablehnten. Sie vertraten die Endzeitthese der Kunst: Der Peak Art sei erreicht worden, sei das nun mit Schönberg oder Pollock, von dort aus ginge es nun steil bergab.

Es ist für die TheoretikerInnen natürlich verlockend, sich so zum Zeitzeugen/zur Zeitzeugin des Peak Art zu stilisieren und zu behaupten: Wir sind die Generation der großartigsten Kunstproduktion – nach uns geht die Kunst unter oder muss radikal neu erfunden werden. Die These ist modern in ihrem radikalen Gestus und ist vielfältig kritisiert und historisiert worden. (vgl. Eva Geulen | Das Ende der Kunst, Lesarten eines Gerüchts nach Hegel | 2002) Bei all ihrer Hybris, oder eben gerade deswegen, hat sie trotz aller Dekonstruktion wenig an Kraft verloren. Die moderne Peak-Art-These verfolgtdasKunstsystem, wie die Moderne die Post moderne ver folgt . Man will sich eben nicht recht trennen von der Radikalität und so wir die Idee vom Untergang der Kunst immerzu recycelt und wiedergekäut. Der fortschrittliche Zeit- pfeil biegt sich zu Kreisen und so kehrt auch die These der Peak Art wieder. Das Kunstsystem reflektiert sich, trotz der Trends zum Zitate-Barock, zur Wertstabilität alter Meister und zur Reappropriation-Art, auch immer noch im Modus des Bruchs und der radikalen Neuerung.

Was mich interessiert, ist ein Recycling der Peak-Art-These, die ich an drei Punkten festmachen will: Erstens wurde im Zuge der Berlin Biennale 2016 und der Postinternet Art über ein Ende der Kunst nachgedacht. Zweitens glaube ich, dass diese Zuspitzung sich schon in der Diskussion zeigt, die seit einigen Jahren um den Begriff des Kuratorischen herum geführt wird. Drittens hat David Joselit diese Peak-Art-These in seinem einflussreichen Essay „After Art“ klar markiert. All diese Debatten eint, dass sie die Krake des Plattformkapitalismus aus dem Inneren des Kunstfelds auftauchen sehen. Der Plattformkapitalismus ist die Form des gegenwärtigen Kapitalismus, der sich an den großen Internetkonzernen orientiert. Kapital zu haben bedeutet darin, die Macht über Plattformen und Programme zu besitzen, seien es Suchmaschinen oder soziale Medien. Wer selbst produziert, ist ein Relikt aus der grauen Vorzeit. Es gilt die Verteilungswege der Informationen zu beeinflussen, die Ströme zu lenken und die Plattformen einzurichten, auf denen die User beständig Inhalte produzieren.

Wozu noch Bilder machen, wenn jeden Tag Milliarden Bilder entstehen? fragt David Joselit treffend. Die KuratorInnen haben das erkannt und ihre Macht beruht darin, dass sie die Plattformen des Kunstsystems, Museen, Biennalen und Ausstellungen strukturieren, in denen andere ihre Werke zeigen können. In der Silicon-Valley-Sprache sind Sammler, große Galerien und Kunstfunktionäre die Business Angels der Start-Ups der KuratorInnen. Die unternehmen sich selbst, pitchen ihre Projekte und skalen sie so groß wie möglich.

Die Postinternet Art markiert die erste Generation von Kunstschaffenden, die im kristallisierten Internet und darum mit den Imperativen des Plattformkapitalismus: „Vernetze! Übersetze! Leite die Ströme!“ aufgewachsen sind. Ihre Reflexion darauf besteht darin, die Bilder Anderer ins Kunstsystem zu übersetzen. Die Berlin Biennale 2016 behauptete in dieser Stoßrichtung ein Ende der Kunst durch die Übernahme der Logiken des Plattformkapitalismus durch die KünstlerInnen selbst. Die einen stehen diesem Ende der Kunst nun kritisch gegenüber, die anderen affirmativ: Es lässt sich prächtig streiten. Für die einen wurde wieder einmal der Peak Art erreicht und der Untergang der Kunst ist mit den skizzierten Entwicklungen absehbar geworden. Für die anderen ist es das Spiel mit der Logik des Plattformkapitalismus, aus dem neue Ideen entstehen. Die Affirmation der kapitalistischen Plattformlogik soll allein durch ihre Transformation ins Kunstsystem dringend benötigte Reflexionen ermöglichen.

Für die Kunst stellt die Affirmation des Plattform- kapit alismus die Frage nach ihrem politischen Potenzial. Wenn die These des Plattformkapitalismus st immt , organisier t sich die Welt zunehmend nach dem Modell von facebook und google und teilt die Menschen in entmündigte User und mächtige Platt- formbesitzende ein. Wenn die Kunst dieser Logik folgt, muss sie fragen wie bestehende Plattformen gehackt werden können. Dazu muss sie netzwerkförmige Kooperationen schaffen und mit ehemals kunstfremden Techniken spielen. Die größte Herausforderung besteht darin, in die Plattformen, deren Maschinen unsichtbar und durch das Copyright geschützt im Hintergrund brummen, zu intervenieren. Die Verteilung von Informationen, Affekten und Bildern muss hinterfragt werden. Das sollten die Postinternet-KünstlerInnen und ihre KuratorInnen in Zeiten des Plattformkapitalismus leisten.