Apocalypse now - zur Untergangsästhetik

„Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen, als das Ende des Kapit alismus.“ Der Aphorismus st ammt von Mark Fisher, der sich 2017 das Leben genommen hat. An Inspirationen zum Ende der Welt mangelt es tatsächlich nicht. Eine Welle der Untergangsästhetik rollt durch das Kino, die Literatur, das Internet, den Film und die bildende Kunst. Mit unbändiger Kreativität inszenieren wir unseren eigenen Untergang. Warum ist die Untergangsästhetik so erfolgreich? Warum reflektieren wir uns in der Zerstörung und erschließen die Zukunft als das Ende der Welt?

Zum einen hat das ästhetische Gründe und liegt in der Struktur vieler ästhetischer Formate. Sie zerstören etwas Schönes, um uns zu zeigen, wie wertvoll es war. Zu Beginn vieler Filme, Theaterstücke und Bücher wird eine schöne, gute, heile Welt aufgebaut, die dann nach und nach vernichtet wird. Diese Struktur findet sich in erzählenden Formaten so häufig, dass man fast sicher sein kann, dass rührende Szenen den Tod ihrer Protagonist*innen nach sich ziehen. Wird eine Nebenrolle in einer Serie harmonisch mit ihren Kindern gezeigt, wird sie voraussichtlich noch in dieser Folge ruiniert oder umgebracht. Vom süßen Schmerz der Zerstörung leben viele unserer Erzählungen. Nur dann und wann erlauben wir uns ein Happy End. Der drohende Untergang wird abgewendet und durch eine unvorhergesehene List entkommt unser/e ProtagonistIn dem sicheren Tod. Mitten im Chaos keimt Hoffnung. Kindergeschichten funktionieren häufig so. Doch Happy Ends empfinden wir oft als kitschig und oberflächlich. Meistens zerstören wir darum die Zukunft des Schönen, Guten und Liebenswerten Schicht für Schicht, bis es am Ende stirbt. Die Wahrheit der Dinge soll in ihrer Tiefe liegen und an die kommen wir, indem wir alle Hüllen abtragen und die Dinge genussvoll und gründlich vernichten.

Unsere Erzählstruktur ähnelt einem Kind, das bezaubert ist von einem Schmetterling, ihn fängt, ihm nach und nach die Flügel und Beine ausreißt und ihn langsam tötet. Zerstörung ist eine Wahrheitstechnik und wer die Wahrheit über die Welt erfahren will, muss sie zerstören. Was wichtig, gut und schön ist, zeigt sich in dessen Verlust. Zerstörung ist demnach eine wirkmächtige ästhetische Strategie und die maximale Zerstörung ist eben die Zerstörung vom allem: Voilà – der Weltuntergang. Doch nicht nur ästhetische auch philosophische Gründe lassen sich für den Erfolg der Untergangsästhetik anführen. Nach einer wirkmächtigen Erzählung läuft die menschliche Zeit von der Geburt zum Tod. Glaubt man Heidegger ist der Mensch darum aus Angst und Sorge gemacht, weil er sterben muss. In der Zukunft liegen der Tod, das Nichtwissen und die Unsicherheit. Darum wird die Zukunft durch Angst erschlossen. Vor der Vergangenheit hat man keine Angst, denn Angst stellt sich vor dem Unbekannten, Ungewissen und Grundlosen ein. Der Mensch wäre der Untergehende, der Sterbende, der vor der unbekannten Zukunft steht uns sich ängstigt.

Heideggers Menschenbild lässt sich am Besten anhand von Kinder- geschichten erschließen. Die kindliche Welt ist klein und voll von Un- bekanntem. Das macht den Kindern Angst. Um diese vage Angst nun greifbar zu machen, mögen Kinder Geschichten von Monstern. Die Monster geben der Angst eine konkrete Form, und transformieren sie in eine bestimmte Gefahr. „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Die Kinder lernen in den Monstergeschichten, wie sie die Monster überlisten können. Die Konfrontation mit dem Unbekannten, dem Tod und der Angst, soll uns helfen, Auswege aus scheinbar ausweglosen Situationen zu finden und unsere Zukunft selbst zu gestalten. Folgt man dieser Logik, dann erzählen wir uns Geschichten vom Untergang, um unsere Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft zu kontrollieren. Wir simulieren den Untergang der Welt, um auf ihn vorbereitet zu sein und einen Ausweg zu finden und damit ein selbst bestimmtes Leben zu führen. In Anbetracht einer unbekannten Zukunft rechnen wir mit dem Schlimmsten, um selbst für den Weltuntergang gewappnet zu sein. Immer wieder laufen wir zum eigenen Tod vor und von dort wieder zurück in unser Leben. An dieser ästhetischen und philosophischen Struktur von Geschichten ist nicht per se etwas falsch, problematisch ist nur, wenn der Untergang zu wuchern beginnt und die Stimmung der Angst sich ausbreitet, wenn wir uns nur noch in Bezug zum eigenen Untergang entwerfen und der Tod der einzige Spiegel der Menschen wird.

Glücklicherweise sind wir nicht primär aus Angst, Sorge und Tod gemacht. Hannah Arendt hat Heideggers vereinzelnde Untergangsphilosophie in eine Philosophie der gemeinsamen Geburt umgekehrt. Sie bestimmt den Menschen nicht als Sterbenden, sondern definiert ihn durch seine Geburt, den Neuanfang, der sich immer wiederholen könnte. Arendt bindet die Geburt dabei nicht an den Tod. Wir müssen unser Leben nicht erst produktiv zerstören, tabula rasa machen, um neu zu beginnen, wir können mitten aus dem Leben heraus neu anfangen. Arendt ist deshalb aber keine Apologetin des Fortschritts. Die Neugeburt meint nicht technologische Neuerfindungen, denn Untergang und Fortschritt sind zwei Seiten einer Medaille. Arendt ist revolutionär, da sie beide Logiken verlässt und den Zeitpfeil immer wieder zum Neuanfang, zur Geburt, zurück biegt. Die Zeit kreiselt also nicht immer gleich, sondern verändert sich in ihrem Kreiseln beständig. Der Mensch kann aufgrund der Tatsache, dass er als ein Neuanfang in die Welt kommt, diesen Neuanfang immerzu wiederholen. Er kann politisch Handeln und mit anderen gemeinsam die Welt gestalten. Dieses kreiselnde Zeitverst ändnis, kann helfen, die Gefahren der Untergangsästhetik zu erkennen.

Die Untergangsszenarien helfen uns zwar Strategien im Umgang mit Zombies, Systemzusammenbrüchen und Naturkatastrophen zu entwickeln, doch gleichzeitig setzten sie den Rahmen, in dem wir die Zukunf t sehen. Wenn wir den Untergang beständig wiederholen, kann er zu einer self-fulfilling-prophecy heranwachsen. Wie sollen wir die Zukunft als Geburt verstehen, wenn wir sie beständig als Tod konzipieren? Wie sollen wir die Welt gemeinsam zu einem besseren Ort machen, wenn in unseren Schubladen nur Notfallpläne und Schreckensszenarien liegen? Wie können wir gemeinsam eine gute Zukunft entwerfen, wenn wir nur Bilder des Untergangs vor Augen haben? Gehen wir von einer kreiselnden Zeitlichkeit aus, dann können wir sicher sein, dass sich alles, was wir erschaffen, wiederholt und dadurch an Kraft und Bedeutung gewinnt. Unsere Fixierung auf die Untergangsästhetik könnte den Untergang demnach zuallererst heraufbeschwören.

Die affektive Landschaft hat sich global verdüstert. Die Menschen haben Angst und wir leben in der ständigen Krise. Krisen zeichnen sich dadurch aus, dass in ihnen keine Zeit für die Zukunft bleibt, während die Vergangenheit wertlos geworden ist. Krisen sind Phasen, in denen die Zeit suspendiert ist, in denen die Zukunft neu erschlossen und die Vergangenheit neu erzählt werden kann. In der aktuellen Krise wird die Vergangenheit romantisiert, indem das Kreiseln der Zeit als eine natürliche und stabile Wiederholung, ein Gleich- gewicht , das wir verloren hätten, konzipiert wird. Doch so ein Gleichgewicht hat es nie gegeben. Es gibt kein zurück in eine goldene Zeit und auch Amerika wird nicht „great again“. Ebenso wenig hilf t Europa eine Besinnung auf seine „traditionellen, christliche abendländischen Werte“. Es gibt keine stabile Vergangenheit, kein verlorenes Gleich- gewicht und keine paradiesischen Gärten, aus denen wir kommen. Wir kommen aus einer Welt, die sich immer schon verändert hat. Die andere Seite der romantischen Vergangenheitsverklärung, ist eine düstere Zukunft, die großflächig über Angst erschlossen wird. Wer glaubt heute noch daran, dass das eigene Leben besser wird, als das der Eltern? Die Untergangsästhetik hat Hochkonjunktur. Problematischerweise verst ärkt die Untergangsästhetik aber die Angst, anstatt sie zu bändigen. Man müsse sich die Befürchtungen und Ängste der BürgerInnen anhören, sagen die PolitikerInnen und rücken geschlossen nach rechts. Nichts anderes tut die Untergangsästhetik. Wir kreiseln uns in den Untergang. Die Verängstigten lassen sich vonder Vorgartenästhetik der nationalistischen und autoritären Populismen verführen und die Kunst versucht ihnen die Angst durch Untergangserzählungen zu nehmen, die sie aber weiter verängstigen.

Letztes Jahr lief im Kino ein Science-Fiction Film, der die Tücken der Untergangsästhetik ebenso wie die eines fortschrittlichen Modells aufzeigte und den Ausweg mit einem zirkulierenden Zeitverständnisses skizzierte. In „The Arrival“ wird die Menschheit mit Aliens, also dem radikal Fremden, konfrontiert. Ein Teil der Menschen reagiert ängstlich und entwirft ein Untergangsszenario: Die Aliens könnten gekommen sein, um die Erde zu erobern. Sie fordern, dass die fremden Schiffe abgeschossen werden sollen. Gleichzeitig erhofft sich ein anderer Teil der Menschen einen technologischen Fortschritt von den Fremden und starten einen Wettlauf: Welche Nation wird zuerst an die Technologie der Aliens kommen? Doch mit Hilfe einer Sprach- und Übersetzungsexpertin durchkreuzen die Fremden beide Annahmen. Es stellt sich heraus, dass die Fremden weder den Untergang noch neue Technologien bringen, sondern eine neue Sprache, eine ästhetische Form, mit der sich das menschliche Zeitbewusstsein verändern lässt . Diese kreisförmige Sprache ist präsentativ, nicht diskursiv, sie funktioniert über die Gleich- zeitigkeit von Bildern und nicht über das Nacheinander linearer Zeichen und wird mit Tinte in den Nebel gemalt. Es ist eine künstlerische, eine bildhafte Sprache. In dieser Sprache muss die Zukunft niemanden mehr ängstigen und die Vergangenheit muss nicht mehr verklärt werden. Lebt man in dieser Sprache verschmelzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander. Die Zeit beginnt zu kreiseln. Während die ProtagonistIn diese Sprache lernt, erlebt sie Flashbacks und „Frontflashs“. Ihre zukünftigen Handlungen und ihr zukünftiges Wissen, verändern die Gegenwart.

Diese fremde Sprache ist uns vielleicht überhaupt nicht so fremd, wie es auf den ersten Moment scheint. Die Kommunikation mit den Aliens findet in deren Raumschiff, in einer Art Kinosaal statt. Der Film reflektiert also auch auf die Möglichkeiten des Kinos und kommt zu dem Schluss: Der Science-Fiction Film selbst ist ein Sprechen in der Zukunft. Das Kino zeigt Wege aus der Fortschritts- und der Untergangsästhetik auf und
erschließt der Kunst die Zukunft als Gestaltungsraum. Indem die Kunst die Zukunft darstellt, bahnt sie dieser Zukunft einen Weg. Das bedeutet nicht, dass unsere Zukunft nun eine Mischung aus Star Wars, Terminator, Interstellar und Blade Runner wird. Die Sprache der Zukunft ist keine Sprache des radikalen Konstruktivismus, die sich die Welt machen könnte, wie sie uns gefällt. Denn eine radikal konstruktivistische Sprache droht zu verdrängen, was sie nicht fassen kann. In einer solchen Fantasiewelt müssten sich dieselben Fehler immerzu wiederholen, wie die Handlung der immergleichen Sequels im Kino. Die Sprache der Zukunft öffnet vielmehr einen Raum, in dem wir die gute Zukunft nicht mehr zerstören müssten, um zu verstehen, wie bedeutsam sie ist. In dieser Sprache würden wir eine bessere Zukunft zirkulieren lassen.
Die Krise ist auch der Moment, in dem uns endgültig klar werden kann, dass die Zeit kreiselt. Wir bestimmen schon jetzt über unsere Zukunft. Wir sollten aufhören, uns wie kleine Kinder zu benehmen, die immerzu den Untergang simulieren, um gegen das Schlimmste gewappnet zu sein. Wir sollten beginnen, jetzt in einer Zukunft zu leben, in der wir schon immer gelebt haben werden.